Alles fing bei Noémie ganz harmlos an mit scheinbar harmlosen Magen-Darm-Problemen, entwickelte sich jedoch innert Stunden zu einem nächtlichen Dauerlauf zwischen WC und Bett. Nikolai klagte über Bauchschmerzen. Trotzdem gingen wir am Morgen tapfer zur Arbeit ins Pastoral. Hier schenkten uns alle ein müdes, mitleidiges Lächeln auf unsere Erklärungen hin. Betrachteten die Mitarbeiter Noémies Problem anfänglich als ein übliches, so gerieten sie mit jedem ihrer Gänge auf das WC immer mehr in Panik und so gingen wir zum Tagesende mit einer Unmenge an gut gemeinten, (alternativ-) medizinischen Tipps und Anweisungen nach Hause. Dass Noémie trotz Befolgen dieser Ratschläge die nächste Nacht sitzend verbringen musste, brachte das Fass dann am Morgen zum Überlaufen. Mit einer Ehrengarde bestehend aus Chauffeur und Teamärztin wurden wir ins Militärspital gefahren (hospital central de las fuerzas armadas), wo in der Regel ausschliesslich Personen behandelt werden, welche dem Militär angehören und deren primäre Familienmitglieder. Und wir.
Militärspital
Dieses Glück hatten wir unserer Teamärztin zu verdanken, welche dort Chefin der Allgemeinärztlichen Abteilung ist. Völlig übernächtigt liefen wir unserer Teamkollegin und einem ihrer Allgemeinärzte hinterher ins Untergeschoss. Sogleich fiel uns die Vielzahl an Ärzten auf, die durch die kaum beleuchteten, spärlich eingerichteten Gänge gingen und alle bekannten Gesichter herzlich grüssten. Im Büro unserer Teamkollegin angekommen fiel uns das karge, brüchige und altmodische Mobiliar auf. Die Sprechzimmer sind durch Pappwände voneinander getrennt, es gibt kein Tageslicht.
Da Verdacht einer Parasiteninfektion bestand, musste dies anhand eines Blut- und Stuhlgangtests geprüft werden. Da überrumpelte uns die Frage, ob wir denn auch WC-Papier dabei hätten. Da wir das in der Schweiz im öffentlichen Spital nicht anders kennen, hatten wir nicht daran gedacht, unser eigenes Papier mit ins Spital zu nehmen. Weil wir wohl ziemlich verduzt dreinblickten, kaufte uns unsere Teamkollegin ein Rolle in der internen Spital-Apotheke. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen, oder etwa doch? Da wir noch nichts gegessen hatten und unser Magen immer flauer wurde, mussten wir noch einen Umweg über die Kantine machen, bevor es dann an die Analysen ging.
Die Vorfreude von Noémie auf eine magenfreundliche, leichte und frische Suppe wurde im Keim erstickt, als sie die Auslage sah. Noémie versuchte aus dem vielfältigen Angebot aus Frittiertem, in Fett Gebratenem und Künstlichem das Magenverträglichste herauszufischen. Das grilliertes Käse-Sandwich war äusserst lecker und auf jeden Fall effizient.
Die Analysen bestätigten sodann die Vermutung: Amöbenruhr. Wir erhielten beide jeweils ein von Hand geschriebenes Rezept und gingen sodann in der internen Spital- Apotheke die notwendigen und abgezählten Tabletten kaufen. Das Abzählen und einzeln Erwerben der Tabletten war ungewohnt, jedoch ökonomisch und ökologisch. Wie oft hatte Noémie in der Schweiz schon abgelaufene Medikamente entsorgen müssen…
Dank diesem vielverbreiteten Parasiten erhielten wir so die Möglichkeit einen konkreten Einblick in das hiesige Gesundheitssystem zu erhalten. Und dieser eine Einblick sollte nicht der Letzte sein. Der Parasit fühlte sich nämlich offensichtlich sehr wohl bei Noémie und war auch ziemlich hart im Nehmen. Die dreitägige, normale Kur konnte ihn nicht ausmerzen. So hatten wir das Glück, eine weitere, private Klinik kennenzulernen.
Die Clinica Corazones Unidos liegt in einem eher gehobenen Viertel. Schon beim Betreten des Empfangsbereichs fielen uns die hellen, mit Tageslicht durchfluteten Räume auf. Das Mobiliar erinnerte an das Amerika der 50er Jahre, im Hintergrund liefen passend dazu amerikanische Jazz-Klassiker. Entspannt lachende Ärzte unterhielten sich mit ihren zahlungskräftigen Kunden. Ein Indiz hierfür boten die offen zur Schau gestellten Markenartikel.
Clinica Corazones Unidos
Da wir nicht genau verstanden hatten, wieso wir eigentlich eine weitere Klinik besuchen sollten, sassen wir auf verlorenem Posten. Unser Begleiter, ein Chauffeur des Pastorals, wusste genau so wenig. Wir fühlten uns unwohl, weil deplaziert und nicht zugehörig zu diesem erlesenen Kreis. Ein leises, schlechtes Gewissen kam gegenüber den Mitarbeitern des Pastorals auf, würden sich die meisten doch nie eine Behandlung in einer solchen Privatklinik leisten können. Behandeln lassen kann sich hier nur, wer entweder viel Geld hat oder versichert ist, was sich wiederum nur eine Oberschicht leisten kann.
So sassen wir ein wenig hilflos beim Notfalleingang, als eine junge, stolz wirkende Ärztin auf uns zukam. Nach einigen Erklärungsversuchen unsererseits, war ihre erste Frage danach, ob wir versichert seien. Kaum hatte sie einen Blick auf die Versicherungsbestätigung geworfen, wies sie Nikolai an, bei der Versicherung eine schriftliche Bestätigung der Kostenübernahme anzufordern. Ohne diese könne und werde sie keinerlei Untersuchungen vornehmen. Dennoch sollte sich Noémie in ein Besprechungszimmer begeben.
Das Besprechungszimmer war klein, hell und kaum möbliert sowie mit allen bekannten, modernen Geräten ausgestattet. Kaum fünf Minuten vergingen ohne dass eine Pflegefachfrau das Zimmer betreten hätte, jedoch ohne zu grüssen oder uns gar Beachtung zu schenken. Nikolais Versuche, die Versicherungsgesellschaft über die 24-Stunden-Hotline zu erreichen, schlugen alle fehl. Mit jeder Minute wurde die Ärztin sichtlich ungeduldiger, sodass sie uns nach etwa 15 Minuten sich entschuldigend, jedoch bestimmt aus dem Notfall hinauskomplimentierte. Wir sollten wiederkommen, sobald wir die Bescheinigung der Kostenübernahme hätten. Da wir keine Aussicht auf Erfolg sahen, verliessen wir die Klinik in Richtung Wohnung.
Noémies Vorfreude auf einige ruhige, erholsame Stunden im Bett wurden jäh in Luft aufgelöst als unser Chauffeur eine weitere Form zur Behandlung der Amöbenruhr aus dem Hut zauberte. So sollten wir jeden Morgen jeweils einen Löffel frisch gepressten Karotten-Knoblauch-Saft zu uns nehmen. Da wir ihn wohl daraufhin ein wenig überfordert und hilflos anschauten, war es für ihn eine beschlossene Sache: Wir fuhren zurück ins Pastoral, wo man uns ganz anschaulich und langsam die Zubereitung erklärte. Mit dem hoch gepriesenen Saft im Gepäck gings dann endlich nach Hause, wo wir völlig erledigt ins Bett fielen. Wurden die Symptome – möglicherweise wegen des Saftes – ein wenig besser, so musste Noémie dennoch noch eine zweite Antibiotika-Kur in Angriff nehmen.
Insgesamt fiel uns die grosse Besorgnis und das Bemühen aller unserer Teamkollegen auf. Jeder wollte uns auf seine Art und mit seinen Tipps weiterhelfen, sodass wir manchmal fast ein wenig überfordert waren mit all den angebotenen Hilfestellungen. Wir kämpften manchmal auch mit dem Gefühl, unseren Teamkollegen viel Mühe zu bereiten respektive ihnen zur Last zu fallen. Den inneren Konflikt zwischen eben diesem Gefühl des zur Last-Fallens und dem Angewiesen-Sein auf andere, fiel vor allem Noémie schwer zu ertragen. Um ihn ein wenig zu lindern, schenkten wir der Haupt(leid-)tragenden Teamkollegin, der Ärztin, Schweizer Schokolade, worüber sie sich offensichtlich freute.
Wir können keine Aussage über die Qualität der öffentlichen Spitaeler treffen, da wir bisher noch nicht die Möglichkeit hatten, eines zu besuchen. Aber wer weiss, was noch kommt in diesem Jahr! Laut Aussagen unserer Teamkollegen scheinen die Verhältnisse jedoch prekär zu sein. So soll es teilweise kein Licht geben, von den hygienischen Verhältnissen ganz zu schweigen. Jedoch werden alle Dominikaner im Notfall gratis und ohne Versicherung behandelt.
hallo Ihr beiden
ich hoffe es geht Euch etwas besser! Ich wünsche Euch auf jeden Fall gute Besserung und immer genug Gelassenheit alles neue kennen zu lernen. Hoffe dass der Sturm Euch nicht zu stark trifft, leider geht er scheinbar vorallem auf Haiti los!
liebe Grüsse aus dem noch sommerlich warmen Schweizerländli
kathrin
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